Bremen 2012

Ausstellung im Diako Krankenhaus Bremen

 

14.10.2012 – DIAKO Bremen

Kunst im Diako

Ausstellung Bärbel Steffens

Gisela Job (M.A.), Kunstwissenschaftlerin

Meine sehr verehten Damen und Herren, verehte Patientinnen und Patienten des DIAKOS

vergänglich – lebendig: in dieser Polarität und scheinbaren Unvereinbarkeit bewegen sich die Bilder von Bärbel Steffens. Jedoch ist das Eine ohne das Andere nicht zu denken, verweisen diese beiden Worte doch auf den ewigen Kreislauf von Vergehen und Leben, gedacht in einer unendlichen Schleife des Seins. Alles Leben, alles was wir kennen, ist diesen Worten unterworfen.
Bärbel Steffens Malerei entsteht aus dem großen, tiefen Wissen darum, dass alles vergänglich ist und ist zugleich eine Homage an das Leben. Sie holt Verborgenes wieder hervor, dass der Mensch sich als Einheit mit allem begreift, was sowohl lebendig als auch vergänglich ist. Ihre Bilder geben Hoffnung zum Leben. [show_more]

Die Ölbilder, in welche Sand mit eingearbeitet ist, zeugen von einer großen Lebendigkeit und Energie, sowohl von der Farbgebung als auch von den dynamischen Bildinhalten und sind das Ergebnis eines langen künstlerischen Prozesses. Mit ihnen hat Bärbel Steffens die Anfänge ihrer künstlerischen Arbeit vor 30 Jahren, die sich noch auf den realen Gegenstand oder das Objekt bezog, lange hinter sich gelassen. Von Aquarelllandschaften, Portraits in Öl, über Stillleben, Aktzeichnungen und Plastiken als Grundlage, konnte sie sich sicher neuen Ausdrucksformen nähern. Seit über 20 Jahren arbeitet Bärbel Steffens abstrakt, in der ihr eigenen Bildsprache und Arbeitsweise.

Zu diesen gelangte Bärbel Steffens einmal durch Einflüsse der Natur, ihren japanischen Garten. Alles in ihm hat eine Bedeutung, ist Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung und muss vom Betrachter „gelesen“ werden. Der japanische Garten soll u.a. die kosmische Ordnung verdeutlichen, das Werden und Vergehen, den Kreislauf der Jahreszeiten. In ihm soll sich der Mensch als Teil der Natur verstehen und gleichzeitig die Natur Teil des Menschen sein. Zudem soll sich der Geist in der Reduktion auf das Wesentliche beziehen.

Häufig ist der japanische Garten durch vier Elemente bestimmt. In der Philosophie bedeuten diese Steine, Moos, Wasser und Baum. Bis heute sind Kiesflächen und Steine die wichtigsten Bausteine eines japanischen Gartens. Kiesel und Sand werden beispielsweise zu Strudeln oder Wellen gerecht und versinnbildlichen
Wasserflächen.
Für Bärbel Steffens ist das Wichtigste am japanischen Garten, so sagt sie: „die Ruhe, die im Gegensatz zu unserem hektischen und schnell vergänglichen Leben steht“. Und weiter: „Diese „Ruhe“ oder auch „Konzentration“ bewirkt zwangsläufig eine neue Art der Wahrnehmung und Betrachtung.“ Die Reduktion auf das „Wesentliche“ findet sich auch in den japanischen Titeln der Bilder von Bärbel Steffens wieder. Z.B. der Titel „yu“ wie: „Tiefe, Geheimnis.“
Der japanische Garten also als eine große Inspirationsquelle für das eigene, künstlerische Schaffen und der Auseinandersetzung mit den Worten „vergänglich – lebendig.

Neben fernöstlichen Einflüssen sind Bärbel Steffens Bilder beeinflusst von europäischen Kunstrichtungen, wie z.B. die der Arte Povera, übersetzt mit „Arme Kunst“. Diese entwickelte sich Ende der 60er Jahre in Italien und die, so der Kunstbrockhaus,“ mit der Verwendung besonders karger Materialien wie beispielsweise Erde, Holz, Kohle, Papier und Schnur auf das poetisch Komplexe in der Welt verweisen will, und die Ausstrahlungskraft, die diesen einfachen Dingen innewohnt nutzt, um längst Vergessenes (sowohl Wissen auch als Emotion) wieder
an das Licht der Welt zu bringen.“

Bärbel Steffens arbeitet mit Sand. Dieser entsteht durch die physikalische und chemische Verwitterung anderer Gesteine. Auch die Steine in Bärbel Steffens japanischem Garten werden einmal zu Sand werden und der Vergänglichkeit unterworfen sein.
In ihren Bildern verarbeitet die Künstlerin verschiedene Sande. Z.B. Bausand, Sandkistensand, gesiebten Vogelsand oder sie bringt sich gelben Sand aus Südfrankreich mit.
1991verwendete Bärbel Steffens zum ersten Mal Sand in einem weiblichen Akt, der einen Rumpf mit Bauch, Scham und Oberschenkeln zeigt. Der Sand war mit eingearbeitet, spielte jedoch noch keine zentrale, bildgebende Rolle. Ihr offiziell erstes Sandbild entstand ein Jahr später unter dem Titel „Vita“. Es zeigt viele Wege, die nirgendwo hinführen.

Neben der Arte Povera ist auch ein gewisser Einfluss des Informel, der formlosen, abstrakten Kunst der europäischen Nachkriegsjahre, in den Arbeiten von Bärbel Steffens zu erkennen. An dieser Stelle möchte ich den deutschen Künstler Emil Schumacher, einen der Hauptvertreter des Informel, zitieren: So sagte er einmal:

„Bildmaterial und Bildmaterie: Das eine steht am Anfang, das andere am Ende. Das Material bedeutet Inspiration und Widerstand zugleich. Aus dem Wesen, aber auch am Widerstand des Materials formt sich das Bild. Der Charakter des Bildes kann nicht nur der seiner Materialien sein.“ (1)
Und weiter:
„Die äußerste Form, Widerstand zu brechen, ist die Zerstörung: ein primitiver Gestus der Verzweiflung und der Lust. Die Antwort heißt nicht: heilen, sondern: bannen; nicht: wiederherstellen, sondern den Zerstörungsakt dem Bilde einverleiben – als Ausdruck und als Form.“ (2)

Diese beiden Aspekte finden sich, wenn auch in reduzierter Form, in der künstlerischen Arbeitsweise von Bärbel Steffens wieder. Sie kreiert ihre großformatigen Arbeiten auf dem Fußboden. Zu Beginn des künstlerischen
Prozesses steht das Bild in der geistigen Vorstellung fest, die anschließende Arbeitsweise ist spontan und reflektiert zugleich, sie ist prozessorientiert und erfolgt in vielen Arbeitsschritten:
Zunächst kommt auf die Leinwand eine Schicht Terpentin, es folgt ein Grundanstrich mit einer Farbfestlegung. Dann kommen gezielte Farbsetzungen in Ölfarbe und partielle Sandsetzungen, die mit der Ölfarbe vermengt werden, wieder Ölfarbe und so weiter, es entstehen partielle Schichtungen. Bereiche, die nicht gefallen, werden
verworfen, mit dem Spachtel abgetragen und an anderer Stelle wieder draufgesetzt, so entstehen die dicken Stellen. Der Titel der Ausstellung vergänglich – lebendig bekommt also auch während des künstlerischen Aktes seine Bedeutung. Geschaffenes wird zerstört, wird abgetragen, an anderer Stelle gesetzt, erwacht zu neuem Leben, wird vielleicht wieder verworfen oder bleibt bestehen.

In einer erweiterten Arbeitsweise entstehen serielle Bilder. Auf dem Boden liegt jetzt nicht nur eine Große, sondern z.B. 10 etwas kleinere, zu einer Form zusammen gelegte Leinwände, die gleichzeitig bearbeitet werden. Anschließend kann jedes der 10 Bilder auch für sich allein stehen und braucht die anderen nicht zwingend.

Bärbel Steffens hat in dieser Ausstellung die Bildserien nicht zentriert sondern in verschieden großen Intervallen gehängt, damit sie den Raum bewegen. So wechseln sich kräftig leuchtende Farbkompositionen mit Ton-in- Ton – Arbeiten ab. Es finden sich mäandernde oder bewusst gesetzte Linien, sowie Linienbögen, und sich
hervorhebende Bildausschnitte, in denen unglaublich viel passiert und die wie Konzentrationspunkte wirken.
Zugleich haben die Bilder auch eine haptische Komponente, d.h. sie sind fühlbar und zum Berühren geeignet. Wenn man dieses täte, würde man die verschiedenen Sandkörnungen erspüren, die Bewegungsrichtung von Spachtel, Pinsel oder Schwamm. Und auch die Verdickungen und Krusten, die aus dem Bildraum herausragen und die Spalten, die in das Bild hineingehen.

Auf einige der Serien und Arbeiten möchte ich näher eingehen:
Hier im Foyer sehen Sie 3 Bilder der „kata-Serie“, in der Übersetzung: „Form des Denkens, Lebensform, auch Stil eines Meisters“ – hier gleichgesetzt mit „der Malende“ – in leuchtenden Rot-Tönen gehalten, die von schwarzen Linien durchwoben sind. Alle Rot-Ton- Bilder von Bärbel Steffens enthalten 7 verschiedene Rottöne, auch deshalb, da die Zahl 7 in der japanischen Philosophie eine besondere Bedeutung hat.

Die sich anschließenden 3 „shin-Bilder“ im Sinne von „genau sichtbar ausgedrückt, gedruckt, dargestellt“ in grün-braun- gelber Farbkomposition beinhalten angedeutete schwarze Torbögen und entstanden nach einem Italienaufenthalt.
7 von 10 Bildern unter dem Titel wabi-sabi übersetzt mit „verhüllte Schönheit, zerbrochener Glanz des Mondes“ hat Bärbel Steffens in einem mutigen Akt einfach um die Kurve des Flures herum gehängt und es ist erstaunlich, wie dieses funktioniert. Die Erinnerung nimmt die vorangegangenen Bildinhalte mit und geht mühelos über in die Bilder nach der Kurve.

Das Bild aus der „kire-Serie“, gleichbedeutend mit „Schnitt, schneiden, abtrennen“ wirkt so, „als wenn es ausgeschnitten wäre aus einem großen Bild“, sagt Bärbel Steffens.
Die Arbeiten der „gyo-Serie“ übersetzt mit „Reihe, Linie – auch: Aktivität“, ebenfalls in 7 Rottönen gearbeitet, zeichnen sich durch eine akzentuierende Liniensetzung in schwarzer Farbe aus. Gut nachvollziehbar ist hier der Arbeitsschritt, der einen Rotton mit dem Spachtel wegnimmt, damit darunter ein anderer Rotton zum Vorschein kommen kann.

Nach der Kurve auf der rechten Seite befinden sich als ein geballtes Energiefeld 2 großformatige Arbeiten. Die Linke „yu“ wie: „Tiefe, Geheimnis“ ist in vielen Blautönen gearbeitet, die übereinander gesetzt stellenweise fast Schwarz ergeben. Das „weiße Auge“ ist im Goldenen Schnitt gesetzt. „Für dieses brauchte es den richtigen
Augenblick“, sagte Bärbel Steffens. Auf der rechten Seite kraftvoll dagegen eine yugen-Arbeit, übersetzt mit „eigentümliche Schönheit, durch die das Vollkommene zu erscheinen vermag“ in rot-gelb- orangenen Farbtönen.
In der Fortsetzung als Gegenpol, in archaischer Potenz, 1 „wabi“-Arbeit, gleichbedeutend mit „Ideal des Selbstgenügsamen, der die Einsamkeit und Schlichtheit der weltlichen Pracht vorzieht“ – in sehr reduzierter Farbgebung in Van-Dyck-Braun, Schwarz und Himmelblau gehalten. Nach unten hin sich auflösend,
erinnert es an Höhlenmalerei.
Zum Schluss meiner Einführung möchte ich Ihnen noch eine sehr persönliche Geschichte über Bärbel Steffens erzählen: Ende August letzten Jahres hatte Bärbel Steffens einen Unfall in ihrem häuslichen Badezimmer, dessen Folgen zunächst als nicht so schlimm erschienen. Über die folgenden Monate jedoch verschlechterte sich
ihr gesundheitlicher Zustand zunehmend. Am 20.Dezember kam sie hierher in das DIAKO, wurde am 22.Dezember operiert und es stand 50 zu 50 ob sie anschließend querschnittsgelähmt sein würde.
Nach der OP lag sie in ihrem Krankenbett und eine zentrale Frage war: „Kann ich noch wieder malen? Und die Antwort: „Ich brauche eine Ausstellung!“ Sie bat vom Krankenbett aus darum, dass der Geschäftsführer des DIAKOS, Herr Eggers, zu ihr käme, was dieser auch tat und sprach mit ihm über eine Ausstellungsmöglichkeit hier im Krankenhaus.

Aus dieser tiefen Krise heraus, entwickelte Bärbel Steffens die Kraft, lebendig zu werden. Ihre Bilder sind hier am richtigen Ort.

lch wünsche Ihnen allen eine schöne Ausstellung

Literaturangabe:
(1+2) – Emil Schumacher
Leben in der Malerei
Gespräche und Texte
Hrsg. Ernst-Gerhard Güse
Hatje Cantz Verlag, 2008