Ausstellung Hemelingen 2007

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Bärbel Steffens – Haptische Bilder

Ausstellung im Bürgerhaus Hemelingen, Oktober 2007

 

 

Chris Steinbrecher, Kunsthistoriker:

Wollte man die Kunst von Bärbel Steffens stilistisch zuordnen, so drängt sich zunächst der Begriff „Abstrakt“ auf. Wobei diese Bezeichnung genau genommen irrig ist, da eine Abstraktion üblicherweise von einem konkreten Gegenstand ausgeht. In der Bildenden Kunst hingegen umfasst der Oberbegriff „Abstraktion“ sowohl die manchmal bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten realen Motivvorgaben als auch das von vornherein als ungegenständlich angelegte Kunstwerk. So versteht sich abstrakte Kunst in der Regel als Gegenposition zur Vorstellung der Kunst als Mimesis, also der Nachahmung von Naturwirklichkeit. Insgesamt hat die Absage an den Gegenstand eine lange Geschichte, die bis in die Zeit der mittelalterlichen Mystik zurückgeht. So schreibt im 13.Jh. der große Scholastiker Meister Eckhardt:

„Deshalb muss der Geist hinaus schreiten über die Dinge und alle Dinglichkeit, über die Gestaltung und alle Gestaltigkeit, selbst über das Wesen in seiner Wesensartigkeit: dann wird ihm aufgehen die volle Wirklichkeit.“

Und schon im 4.Jh. benennt der chinesische Philosoph Laotse im Tao te king das Tao als „eine gestaltlose Gestalt, das dinglose Bild“. Immer wieder wurden diese Gedanken insbesondere in der Malerei, beispielsweise vom berühmten chinesischen Landschaftsmaler Sung Ti im l l. Jh. in eine Art Fleckenmalerei umgesetzt. Selbst Leonardo beschreibt um 1500 in seinem Taktrat von der Malerei: „…eine neu erfundene Art des Schauens…sie besteht darin, dass du auf manche Mauern hinsiehst, die mit allerlei Flecken bekleckst sind…Hast du irgendeine Situation zu erfinden, so kannst du da Dinge erblicken, die diversen Landschaften gleichsehen…Durch die verworrenen und unbestimmten Dinge wird nämlich der Geist zu neuen Erfindungen wach .“

Es waren jedoch weniger die europäischen Mystiker als vielmehr die fernöstlichen Gedanken des Taoismus und des Zen—Buddhismus die dem deutschen Expressionisten russischer Abstammung Wassily Kandinsky die Türen zum Siegeszug der abstrakten Malerei öffneten indem er Werke schuf, die auf keinem materiellen Gegenstand, sondern ausschließlich auf sich selbst verweisen, vergleichbar vielleicht mit musikalischen Kompositionen. Es war die Freundschaft mit dem Komponisten Arnold Schönberg der ihm den direkten Bezug zur Musik eröffnete. Kandinsky war der erste Künstler der seine Werke als „Kompositionen“ bezeichnete in denen „Farbklänge“ und freie Formen die Totalität einer Sinfonie erreichen sollen.

Grob gerastert ordnet sich die Malerei von Bärbel Steffens all diesen Gedanken unter, wobei sie den aus der Musik abgeleiteten Selbstzweck von Malerei eines Wassin Kandinsky zugunsten einer Rückbesinnung auf fernöstliche Ausdrucksformen verwirft. Die alles beherrschende, schwerlastige Farbigkeit jedoch, in den neueren Arbeiten meist Rot und Schwarz, verweist eher auf europäische Maltraditionen.

Bleiben wir einen Moment bei der Farbe. Unumstritten ist ihr Symbolwert, wobei ihre Ausdeutung in den verschiedenen Kulturräumen oft unterschiedlich ausfällt.

So gilt Rot in China als die Farbe von Glück und Reichtum, in Russland für wertvoll und teuer. In Japan ist rot die Farbe der Frauen und in der Christlichen Kirche beider Konfessionen symbolisiert es Blut und Feuer; Pfingsten, Leiden Christi und dem Gedenken an die Märtyrer.

Das Schwarz hingegen gilt als das ideologische Gegengewicht zum Weiß. Am Anfang war das Nichts, aus ihm gebar sich alles, sagen die heiligen Bücher der Asiaten. »Gott sprach: Es werde Licht« sagt die Bibel. Schwarz und Weiß wurden von Anbeginn der Menschheitsgeschichte eine große Bedeutung zugeschrieben, sie verkörpern die Prinzipien Licht und Finsternis, Gut und Böse, Leben und Tod, die größten, Menschen bewegenden Gegensätze überhaupt. Beides zusammen ist erst das Sein in seiner Gesamtheit. Diese gegensätzlichen ideologischen Positionen bieten Grundlage fast aller Weltanschauungen.

So ist Schwarz die Farbe der Trauer in Deutschland oder den USA. In Indien steht Schwarz fiir Krishna, für ein negatives Karma, ist Symbolfarbe des grausamen, rohen, unbarmherzigen Menschen.

In China ist Schwarz die Farbe fiir Macht und Geld, aber auch für fehlende Hoffnung.

Wollte man auf die fernöstliche Deutung der Farbwahl abheben, so ergäbe sich in den Bildern von Bärbel Steffens mit dem Rot eine kraftvolle weibliche Komponente, die durch das männliche Schwarz berührt wird. Doch wie vorher schon erwähnt ist es die Wucht der Farbigkeit, die die Europäerin verrät und die Gestik in ihren Bildern schafft einen Berührungspunkt zur Malerei des Informel der 50er Jahre, die mit Antonie Tapies und Emil Schumacher ausklingt.

Unter Verzicht auf kompositionelle Regeln, diente Informel vorrangig der Beschreibung einer Arbeitsmethode.

Informel heißt „Ohne Form“ oder besser „Formenzertrümmerung“, also Freiheit vom Gegenständlichen wie vom Geometrischen, Freiheit auch vom Bedeutungszeichen und daraus folgert eine Erweiterung der Möglichkeiten der Malerei durch Einbeziehung von Materialien, die in ihrer Alltäglichkeit bisher in diesem Maße nicht in die Farbmaterie eingebunden waren, nämlich Holz, Sand, Gips, Textilien und vieles andere mehr. Das Bild ist ein autonomer, ein sich selbst bestimmender Gegenstand.

Doch es bleiben bei Bärbel Steffens eben nur Berührungspunkte, die ist keine Informel— Malerin, auch wenn sie der Farbe Ihrer Bilder Sand hinzufügt. Der Sand hat für sie eine Bedeutung, die sowohl im Haptischen als auch im sinnlich-meditativen liegt. Vorbild hier ist ihr der karesansui, der japanische Trockengarten, oder besser die Trockenlandschaft, in denen das natürliche Leben keinen Platz findet, in denen statt dessen die hohe Symbolik von Sand, Kies und Fels auf komplexe Landschaftsbilder mit organischen Bezügen verweisen.

Im Trockengarten werden die Steine wie Berge arrangiert und der Sand wie bewegtes Wasser geharkt. Diese vom Zen Buddhismus abgeleitete Abstraktion und völlige Reduktion soll den Blick für dahinter liegende Phänomene schärfen.

Diese Reduktion wird innerhalb des Zen als Yugen bezeichnet. Der Begriff leitet sich von der Schauspielkunst ab. Je mehr sich der Schauspieler selbst zurück nimmt, je weniger er Mimik und Gestik einsetzt, desto höher ist seine Kunst. Am höchsten wäre seine Kunst, wenn er gar nichts mehr zeigen würde. Die Energie muss dabei vollkommen nach innen gezogen werden, die Wirkung auf den Zuschauer spielt dabei keine Rolle. Diese meditative Kunstausübung ist auch der Schlüssel fiir die ostasiatische Malerei. Auch hier ist es die Einfachheit, die das sinnliche Erlebnis erzielen will.

Schon in der Kamakura Epoche schuf Ying Yü-Chien in der ersten Hälfte des 13.Jh. mit seinen Landschaftsbildern, wie dem „Bergdorf im lichten Nebel“ eigenwillige Bildwelten bei denen die Motive sich lediglich durch konzentriert gesetzte Aquarellflecken definiert und somit die Landschaft in den Rang des Zenkizo, eines Ortes der Erleuchtung erhebt.

Dem Malakt geht eine Phase der Konzentration voran, die dann den eruptiven Schaffensprozess auslöst. Nicht das Besondere, sondern das Gewöhnliche wird in seiner geistigen Erhöhung Quelle meditativer Erbauung. Ein abgestorbener Ast oder eine zerfallene Hütte sind nur unscheinbare Hüllen, die dem wissenden Betrachter alle Reize des Schönen offenbaren.

Um solche unscheinbare Beiläufigkeit, auch Wabi—Sabi genannt, geht es auch in dem folgenden Gedicht hervor:

 

In den Wäldern drüben,
tief unter der Last des Schnees,
ist letzte Nacht
ein Pflaumenzweig erblüht.

 

Betonte Einfachheit, formale Reduktion und freie malerische Assoziationen bilden den Kerngedanken im Werk von Bärbel Steffens. Die geistige Tiefe des Taoismus verbunden mit europäischer Schwere und der ungestümen Freiheit des Informel schaffen Farb— und Fonnwelten von eigentümlicher Ausdruckskraft. Ihre Bilder tragen japanische Namen, wobei, so die Künstlerin, das Katagana—Schriftzeichen SHOJI die Zen—Philosophische Grundlage bildet. Shoji ist ein komplexes Zeichensymbol. Anders als das Yin—Yang—Zeichen, das die Gegensätzlichkeiten, wie Mann—Frau oder Feuer—Wasser in sich vereint, bezieht sich shoji auf die untrennbare Einheit von Leben und Tod, von gehen und vergehen. Westeuropäisch umgedeutet wäre das der klassische Vanitasgedanke, der schließlich im memento mori, im Gedenken an den Tod mündet.

Schauen wir uns die Bilder von Bärbel Steffens genauer an, so scheinen sie die Elemente Erde, Feuer Wasser und Luft widerzuspiegeln. Das Grün, als Farbe vegetativen Wachstums oder lichte Sonnenwelten hat sie im Wesentlichen ausgespart, selbst dort wo sie das sonneneigene Gelb verwendet wird die luftige Leichtigkeit durch die schwere Materialität weitgehend aufgehoben. Bärbel Steffens konzentriert sich auf die Urkräfte, wie zum Beginn der Entstehung unserer Erde, wobei sie das Vergehen entstehender Seinsfonnen in den Schöpfungsprozess als untrennbar mit einbezieht.

Die Bildserie SHIN, die Wortsilbe bedeutet soviel wie eine dunkle, verborgene Lehre, also das Geheimnisvolle. Wollte man den Begriff weiter ausdeuten, so ergäbe sich im Sinne des Wabi—Sabi eine betonte Unscheinbarkeit, hinter der sich das ganze Geheimnis des Lebens verbirgt. Gleichzeitig verweist dieser Ansatz auf die japanische Gartenkunst, insbesondere auf den Trockengarten mit seinem Symbolgehalt.

Nicht von ungefähr hat Bärbel Steffens helle Erdfarben zwischen wolkigem Ocker und hellem Grau gewählt, die rau und schrundig auf die Leinwand gebracht hat. In diese amorphe Fläche setzt sie schwarze Spuren, wie Schriftzeichen, die sich meist bogentörmig über die Bildfläche spannen. In manchen dieser Bilder, wie bei SHIN 3 endet der Bogenverlauf nach kurzem Versuch vor einer rot—orangen Barriere, nimmt dann kraftvoll seinen Verlauf wieder auf, um schließlich unvollendet in einer Linie zu münden, die das Bild unkontrollierbar verlässt. Sein Gleichgewicht findet das Bild, indem eine dunkle Spur in der unteren Bildhälfie den Bogen optisch auffängt.

Mit dem letzten Bild dieser Serie, SHIN 5, wandeln sich der Inhalt und die Farbigkeit. Das Sandfarbene ist einem gelb—orange gewichen, der Bogen hat sich in eine knappe Linie verwandelt, die auf einer hellen Wolke schwebt ihren Halt an einigen verlorenen schwarzen Punkten sucht. Wie ein schwerer Regen sickert ein schwarzer Vorhang von oben herunter, der unauflialtsam ins Gelb vordringt.

Das querforrnatige Bild YU 3 scheint das Sphärische oder den Kosmos zu thematisieren. Es ist nicht nur das leuchtende blau, sondern auch die verwirbelten Farbspuren, rot, schwarz und weiß, die eine elementare Kraft suggerieren. Das Entstehen und Vergehen von Sonnen und ganzen Galaxien oder die tiefe, geheimnisvolle Unendlichkeit verdichtet sich zu assoziativen Spielräumen von emotionaler Tragfähigkeit.

Ganz anders die Serie GYO. Das japanische Schriftzeichen GYO ist, wie viele polymorph, mehrdeutig. Zum einen steht es schlicht für „Kunst“ und zum anderen als Reihe, Linie aber auch Aktivität.

Bleiben wir zunächst beim Blau. Das dreiteilige Bild GYO 4 hat nun einen gänzlich anderen Charakter als das eben erwähnte Werk. Der runde Bogen, die Verwirbelungen sind verschwunden. Andere Kräfte deuten sich an. Nicht nur formal, sondern auch inhaltlich findet Bärbel Steffens einen neuen Ansatz. Vielleicht ist es das Element Wasser, das hier Pate gestanden hat. Die dunklen, geraden Linien erinnern an die Meeresdünung, die den Tang zusammen geschoben hat. Viel stärker als bei den anderen Bildserien wird hier der Malakt bewusst angegangen. Die Linien sind von ihr gezielt in die Diagonale gebracht worden und definieren damit ihren Willen, sich dem Assoziationsraum des Bildes nicht willenlos zu ergeben, sondern ihn zu beherrschen.

Die roten Bilder dieser Serie erscheinen uns wir glühende Lava, die Materialität erhärtet diesen Eindruck. Doch auch hier unterwirft Bärbel Steffens dem Fluss der roten Glut ihrem Willen, indem sie mit den Diagonalen bewusst den Bildraum einteilt.

So wird in GYO 5 die wolkige Fläche rot-orange von oben und unten durch zwei schwarzen Linien begrenzt, wobei die untere von ihnen dunkel ausblüht. Die Mittelinie weicht von ihrem vorbestimmten Weg ab, indem sie sich aufspaltet um, außerhalb des Bildfeldes Kontakt mit der oberen Linie aufzunehmen.

KATA ist eine weitere Gruppe. Auch hier handelt es sich um leuchtend rote, durch gelb aufgelockerte Flächen. Die diagonale Linearität nähert sich dem lockeren Formenkanon der SHIN- Bilder an, wobei sich vereinzelt das Schwarz fleckenhaft verdichtet. Es liegt nahe, den Vergleich mit dem No—Tanz herzustellen: Der dem KATA zugeordnete Bewegungsablauf beim No ist äußerst sparsam. Eine verhaltene Gestik und Mimik unterstreichen den Wabi— Sabi—Gedanken der Unscheinbarkeit.

Die innere Geschlossenheit, die meditative Ruhe strahlen auch diese Bilder von Bärbel Steffens aus, indem sie lokale Verdichtungen von dunklen Farbmassen auf nur wenige Bereiche wählt. Doch diese Verdichtungen stehen nicht im Zentrum der Bildebene, sondern sie treten demütig zurück, ordnen sich dem großen Ganzen unter ohne sich zu verlieren.

So können gerade diese Bilder als Beispiel für ein eurasisches Bündnis im Sinne einer in beiden Kulturkreise philosophisch-religiöse Durchdringung von wesentlichen Fragestellungen humaner Erkenntnis gelten, die aus der Demut heraus die Endlichkeit der irdischen Existenz und gleichzeitig die Unendlichkeit des Kosmos akzeptiert, in der das Gehen und Vergehen ganzer Welten neue Realitäten gebiert.

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